Meißner Porzellanglocken

Porzellanglocke aus der Porzellanmanufaktur Meißen.
Aufhängevorrichtung einer Porzellanglocke.
Meißner Porzellanglocken zusammengestellt zum Glockenspiel.

Meißner Porzellanglocken sind klöppellose Glocken aus Keramik, welche meist von außen angeschlagen werden. Versuche anderer Manufakturen, derartige Glocken oder gar Glockenspiele aus Porzellan herzustellen hat es zwar gegeben, sie blieben bisher jedoch alle ohne Erfolg.

Geschichte

Bereits 1712 berichtete Johann Friedrich Böttger seinem Landesherren August dem Starken, dass er neben vielen anderen Gegenständen aus Porzellan, auch „Klocken–Spiehle“ herstellen könne. Entsprechende Versuche fanden aber nicht statt. Die ersten Versuche, Glocken aus Meißner Porzellan herzustellen, unternahm im Jahre 1731 der Modelleur der Porzellanmanufaktur Meißen, Johann Joachim Kaendler. Ein von Kändler 1737 entstandenes Glockenspiel war zwar spielbar, allerdings war eine direkte Abstimmung der Glockenkörper nicht möglich.

Im Jahre 1740 schuf Kändler im Auftrag von Graf Heinrich von Brühl ein kleineres Tisch-Porzellanglockenspiel mit 48 Glocken in Schalen- und Becherform. Ein weiteres Glockenspiel entstand 1741. Dabei waren die einzelnen Glocken bereits farblich dekoriert und trugen das Wappen der Gräfin Brühl-Kolowrat. Trotzdem war es noch immer nicht möglich die Glocken harmonisch aufeinander abzustimmen. Nach weiteren missglückten Versuchen hat man dann die Herstellung von Porzellanglocken, mit Ausnahme einzelner Tischglocken, eingestellt. Im 19. Jahrhundert waren die Meißner Porzellanglocken klangtechnisch noch immer mangelhaft und deren Herstellung wurde daher nicht mehr weiterverfolgt.[1]

Im Zuge der anstehenden Tausendjahrfeier 1929 in Meißen beauftragte der damalige Direktor der Porzellanmanufaktur Meißen Max Adolf Pfeiffer im Jahre 1926, während der sogenannten Pfeifferzeit, den Porzellankünstler Emil Paul Börner die Arbeiten und Versuche für eine stimmbare Porzellanglocke wieder aufzunehmen. Nach entsprechenden Weiterentwicklungen durch Emil Paul Börner und weiteren Meistern des Porzellans wie Max Hermann Dietze und Ernst Fritz Gottschling, konnten ab 1927 die Glocken gestimmt werden. Die harmonische Abstimmung der einzelnen Glocken zu einem Glockenspiel war jetzt möglich geworden.[2][3] Ein Problem konnte jedoch nicht gelöst werden.

Durch die umfangreiche Forschungsarbeit in den 1920er Jahren war die Glocke zwar vom Tone her sowie in Form, Größe sowie Wandstärke, vorstimmbar geworden, aber welche Klangeigenschaft sie einmal haben wird, dass erfährt man auch noch heute erst nach dem eigentlichen Brand. Der Scherben selbst bewahrt also noch immer einige Geheimnisse für sich und gibt sie nicht preis.

Argumentation

Allein des besonderen Klanges wegen entscheiden sich viele Interessenten für Porzellanglocken. Zudem muss man den Gewichtsunterschied zwischen Metall und Porzellan betrachten, denn der ist erheblich. Nicht jeder Turm und nicht alle Gebäude sind schon allein aus statischen Gründen für Metallglocken geeignet. Obwohl die Glocken aus Keramik sind, besitzt Porzellan trotzdem eine solche Stabilität, die man bei diesem Werkstoff gar nicht vermutet. Die Strapazierfähigkeit von Meißner Porzellanglocken ist enorm. Der fertige Scherben ist in keinster Weise mehr aufsaugend, nimmt also keine Flüssigkeiten mehr auf. Er ist säurebeständig, temperaturunabhängig, er entspricht allen hygienischen Anforderungen und ist zudem noch ein hervorragender Isolator.

Herstellung

Die weiße Porzellanmasse aus Kaolin, Quarz und Feldspat wird durch Druck mit den Händen des Porzellandrehers in die Form einer Glocke gebracht. Diese ähnelt dann meist der eines Zuckerhuts oder eines Bienenkorbes. Dabei entsteht aus freier Hand ein vorgeformter Hubel.

Beim Walken und Formen auch Massestoß genannt, werden zeitgleich letzte Lufteinschlüsse entfernt. In einer Gipsform erhält die Glocke dann auf einer rotierenden Scheibe und mithilfe einer Schablone ihre erforderliche Wanddicke sowie die endgültige Gestalt. Wieder aus der Form, wird die Rohglocke mit einem Schwamm überglättet, damit die Glasur später besser haftet. Nun werden die vorgeformten Glockenhenkel mit einer wasserverdünnten Porzellanmasse angebracht. Die Rohglocke kommt anschließend nochmals für ca. eine Stunde in eine Gipsform, dabei wird ihr Feuchtigkeit entzogen.

In einer zweiten Variante der Herstellung wird die fertige Porzellanmasse direkt in die Gipsform gegossen. In beiden Fällen kommt nach dem Trocknen die Glocke in den Brennofen und muss zwei Brennprozesse bei 900 bis 1000 bzw. 1350 bis 1450 Grad Celsius durchlaufen: Den „Glühbrand“ und den „Gutbrand“.

Die modellierte Glocke muss dabei ohne Kern und Mantel freistehen und sich im Brennraum selbst tragen. Während des Brennens schmelzen die Flussmittel Quarz und Feldspat und verbinden sich mit dem gesinterten Kaolin. Nach dem ersten Brennvorgang bezeichnet man den Rohling dann als „Scherben“. Der einmal gebrannte Scherben wird in eine Glasurmasse getaucht, deren Zusammensetzung genau den Anteilen im Porzellan entspricht. Beim Sinterungsprozeß im „Gutbrand“ schwindet der Porzellanscherben in seiner geformten Größe um rund ein Siebentel, außerdem neigt die Masse dabei zu Deformierungen.

Die einzelnen Glocken aus Hartporzellan mit glasierter Oberfläche werden in der Glockendreherei der Meißner Manufaktur in sieben Grundformen gefertigt und bilden einen Basissatz. Dabei hat die „Grundform 1“ ca. 15 Zentimeter Höhe und die „Grundform 7“ ca. 70 Zentimeter Höhe. Mit diesem Satz lässt sich, durch entsprechende Intonation, eine Tonleiter erzeugen. Porzellanglocken wiegen zwischen 300 Gramm und 3 Kilogramm. Die jeweilige Schwingdauer der einzelnen Porzellanglocke ist, wie schon erwähnt, immer erst nach dem Brand feststellbar. Es gibt demnach „Langschwinger“ oder „Kurzschwinger“. Meist werden die einzelnen Glocken heute mit weißer Glasur und ohne malerische Dekoration ausgeliefert. Besondere farbliche Dekore sind allerdings möglich. Jede Glocke trägt innen das Signet der Manufaktur nebst Bezeichnung der jeweiligen Tonhöhe. Die blauen gekreuzten Kurschwerter der Epochen können dabei innen oder auch außen angebracht sein.

Stimmen der Glocke

Es können von den Grundformen durch Abschneiden oder Abschleifen des Glockenrandes unten alle Zwischentöne hergestellt werden. Porzellanglockenspiele können mit ihrer Tonskala über vier Oktaven erreichen. Im Intonationsraum der Manufaktur werden die Glocken durch Musiker einzeln gestimmt. Die Glocke wird dazu an einem Probierständer hängend angeschlagen und der erklingende Ton als Anhaltspunkt genutzt, ob und wie viel Material noch vom Glockenrand ringförmig abgeschnitten oder abgeschliffen werden muss. Die Glocke kann bis zu zwei Ganztöne höher gestimmt werden. Anschließend erfolgt noch eine Feinabstimmung, bei der erneut durch Abschleifen von hundertstel Millimetern am Glockenrand die erforderliche Schwingungszahl erreicht wird.

Obwohl diese Feinabstimmung durchgeführt werden kann, müssen für jeden Ton immer mehrere Porzellanglocken zur Auswahl vorrätig sein. Zudem ist nur ein kleiner Spielraum vorhanden, um den besten Anschlagspunkt am Glockenkörper zu finden. Dabei muss auch der Anschlagswinkel genau bedacht werden.[4]

Literatur

  • Emil Paul Börner: Meißner Glockenspiele, in Bilder aus Sachsen. Verlag Truhe, F. Pfeifer, Meißen 1935.
  • Staatliche Porzellanmanufaktur Meißen: Meißner Porzellanglocken, Prospekt um 1938.
  • Helmut Dämmig: Meißner Porzellanglockenspiele, Meißen–Information, 1987.
  • Annelene Raasch: Glockenspiele aus Meissener Porzellan, Verlag Hauschild, Bremen 1994.
  • Günter Naumann: Stadtlexikon Meißen, Sax-Verlag, Beucha 2009.
  • Reiner Graff: Wenn Weißes Gold erklingt, Vortrag vom 4. November 2018 im Krematorium Meißen, Eigenverlag, 2019.

Einzelnachweise

  1. Helmut Dämmig: Meißner Porzellanglockenspiele, Meißen–Information, 1987, S. 5 bis 14.
  2. Emil Paul Börner: Meißner Glockenspiele, in Bilder aus Sachsen. Verlag Truhe, F. Pfeifer, Meißen, 1935, S. 36.
  3. Annelene Raasch: Glockenspiele aus Meissener Porzellan, Verlag Hauschild, Bremen 1994, S. 9 bis 15.
  4. Reiner Graff: Wenn Weißes Gold erklingt, Vortrag vom 4. November 2018 im Krematorium Meißen, Eigenverlag, 2019, S. 5 bis 11.